Honda hat den Alfa 156 fest im Visier

Aber hallo, was ist bloß mit den Japanern los? Kein Jahr ist es her, als der hübsche Mazda6 rotzfrech in die Mittelklasse polterte und Vergleichs-Tests nach Belieben für sich entschied. Und nun kommt also Honda. Mit neuem Accord und neuem Selbstbewusstsein.

"Du fühlst es", verspricht die Accord-Werbung und fordert uns auf: "Lass einfach los und fühle den Antrieb." Haben wir gemacht und den Newcomer gleich mit Jungstar Mazda6, Altmeister Ford Mondeo und dem Original aller Schönlinge, dem Alfa 156, verglichen.

Gerade den Alfa hat Honda im Visier. "Gegen den treten wir an", so die klare Zielvorgabe der Honda-Bosse. Eine schwierige Aufgabe, wenn wir nur das Design miteinander vergleichen. Selbst im sechsten Produktionsjahr hat der 156er nichts von seiner Attraktivität verloren. Seine Formen sind zeitlos elegant, verführen selbst gestandene Männer schon mal dazu, mit der Handfläche übers Blech zu streicheln. Wenn keiner hinguckt, versteht sich. Solche Emotionen waren es, die Alfa Romeo neues Leben eingehaucht haben.

Karosserie und Kofferraumvolumen

Honda steht zwar nicht mit dem Rücken zur Wand wie damals Alfa Romeo, hat aber in der Mittelklasse seit Jahren nichts zu bestellen. Lag auch am Design, dass seit Generationen immer verwechselbarer wurde. In diesem Punkt hat der Neue sicher mehr Schlagkraft.

Vorn ist er dem Mazda6 wie aus dem Gesicht geschnitten. Durch die schmalen Seitenscheiben wirkt der Accord sicher wie eine Trutzburg. An das kolossale Heck indes werden wir uns erst noch gewöhnen müssen. Aus all den Blechen und Kunststoffen bauen andere Hersteller komplette Kleinwagen. Immerhin stören die Massen am Heck nicht die Aerodynamik. Sein cw-Wert liegt bei 0,26 – damit ist Honda ein Bestwert in der Klasse schon sicher.

Auf Rekordkurs rangiert die Größe der Heckabteile bei Ford und Mazda. Beide fassen 500 Liter. Beim Accord sind es 459, beim Alfa lediglich 378 Liter. Der Mazda-Kofferraum bietet nicht nur viel Platz, er lässt sich auch am besten beladen. Bei den anderen liegt die Ladekante zu hoch – beim Honda gar bei 76 Zentimetern über Normalnull. Beim Einladen von Getränkekisten verfluchen wir jeden einzelnen dieser Zentimeter. Alfa-Fahrer schauen zudem neidvoll auf die Konkurrenz, weil der 156 zwar eine Durchreiche, aber keine umlegbaren Rücksitzlehnen besitzt. Liebe Alfa-Ingenieure, wusstet ihr denn nicht, dass auch schöne Autos gelegentlich zum Baumarkt fahren müssen?

Cockpit-Styling und Oberflächenqualität

Gelernt haben zweifellos die Stylisten in Japan. Vorbei die Zeiten furchtbarer Plastiklandschaften im Innenraum und am Cockpit. Mazda erfreut mit hellen, frischen Farben, chromumrandeten Anzeigen und hohem Bedienkomfort. Nur die Symbole und die Beschriftung auf den Tasten in der mattierten Mittelkonsole sind schlecht ablesbar.

Ganz klassisch: Ford und Honda. Innen dominiert die Farbe Schwarz. Ohne zu erdrücken. Alu-Teile lockern auf. Beim Mondeo gefällt vor allem die einfache, logische Bedienung.

Honda zeigt Tempo, Drehzahl, Spritmenge in kräftigem Rot und sehr plastisch an. Sieht klasse aus. Doch nicht nur das Auge wird verwöhnt. Oberflächen, Lenkrad, Schalthebel und Knöpfe fühlen sich auch so gut an, wie sie ausschauen. Die Bedienung bereitet bis auf die umständliche Menüführung beim Audio-Navigations-Paket (3015 Euro) keinerlei Probleme.

Platzangebot und Reisetauglichkeit

Mondeo und Mazda6 bieten ihren Insassen genügend Platz auch im Fond, Alfa nur vorn. Dem Accord fehlen zwar hinten ein paar Zentimeter Beinraum, doch auch hier reisen Familien durchaus bequem. Dafür sorgen auch die hervorragenden Sitze mit ihren straffen Polstern und dem ausgeprägten Seitenhalt. Es sind die besten in diesem Vergleich.

Insgesamt wirkt der Honda gediegen. Sitze, Platzangebot, Verarbeitung, Material und Bedienbarkeit erfüllen den Anspruch der aktuellen Mittelklasse voll und ganz. Er wirkt wertvoll und durchdacht, klopft durchaus schon ein wenig an die Tür zur Oberklasse. Auf jeden Fall ist der neue Accord ein Automobil, mit dem sich sein Besitzer ganz sicher nicht verstecken muss.

Wer beim Fahrwerk Vorbild war, merkt man schnell. Trotz Frontantrieb erinnert der Accord ein wenig an die 3er-Reihe von BMW. Wie sie ist er ein ungemein dynamisches, fahraktives Auto. Dafür sorgen sein sehr leiser, 155 PS starker Motor (Verbrauch 10,8 Liter), der bei höherer Drehzahl so richtig munter wird. Außerdem eine knackige Fünfgangschaltung, eine zielgenaue Lenkung sowie ein sportliches Fahrwerk (für manch einen sicher eine Spur zu straff). Die Limousine liegt satt auf der Straße, folgt brav in Kurven.

Fahrverhalten und Komfort

Im Gegensatz zur Konkurrenz gibt es für die Zweiliter-Version kein ESP. Natürlich ein Manko; zumindest als Option wie bei Ford sollte es erhältlich sein. Aber –ganz ehrlich – wirklich vermisst haben wir es nicht: Auch in brenzligen Situationen bleibt der Accord gut beherrschbar. Deshalb kein drastischer Punkteabzug im Kapitel Fahrverhalten. Anders beim Fahrkomfort. Kurze Wellen mag der Accord nicht, feine Unebenheiten werden unzureichend absorbiert. Da bieten Mazda und (vor allem) Ford deutlich mehr. Der Mondeo ist das Auto, in dem auch die Schwiegermutter gern mitfährt. Die stört es auch nicht, dass der Motor (145 PS) zwar rund, aber eher behäbig läuft. Immerhin kommt er hier mit dem geringsten Verbrauch aus: 10,2 Liter.

Alfa-Fahrer können davon nur träumen. Realität sind 11,3 Liter im Schnitt. Dabei besitzt der agile, 166 PS starke Vierzylinder eine Benzindirekteinspritzung. Bei Dieselmotoren eine höchst effiziente Spar-Einlage, hier eher eine reizvolle Sport-Technik. Denn der Motor begeistert durch raschen Antritt, Drehfreude, Kraft und kernigen Sound.

Mazda ist da bodenständiger. Der Motor (141 PS) zeigt kaum sportliche Ambitionen. Er wirkt bei niedrigen Touren zugeschnürt, kommt erst bei hohen Drehzahlen in Schwung. Dann aber mit lautem Gebrumm. Seine Stärke ist das Fahrwerk, das mit stoischer Gelassenheit jede Situation meistert. Abstriche für die Federung, die einen Hauch weicher sein könnte.

Kosten und Ausstattungen

Am Schluss ist die Überraschung perfekt. Dem Accord gelingt auf Anhieb ein Start-Ziel-Sieg – wie einst dem Mazda. Und die Japaner sind damit noch nicht am Ende. Im April 2003 folgt der neue Toyota Avensis. Wer weiß, vielleicht muss die Geschichte der Mittelklasse dann noch einmal ganz neu geschrieben werden.

Technische Daten im Überblick

Einmal mehr zeigt sich, dass die Verbrauchsangaben der Hersteller in der Praxis nicht zu erreichen sind. Besonders enttäuschend: der Alfa mit 11,3 Litern. Auf die Bremsen der vier ist aber Verlass. Selbst nach mehreren Vollbremsungen hintereinander bleiben die Bremswege deutlich unter 40 Metern. Am besten verzögert der vergleichsweise schwere Honda.

Fazit und Wertung

Fazit Den Alfa 156 hatte sich Honda als direkten Gegner ausgeguckt. Warum so bescheiden? Der neue Accord platzt genauso frech in die Mittelklasse wie vor kurzem der Mazda6. Und genauso erfolgreich, weil er prima fährt und den Eindruck vermittelt, jeden seiner 22.400 Euro wert zu sein. Was ihm an Komfort mangelt, fehlt dem Mazda an Temperament. Unterm Strich fährt der Mazda nur um einen mageren Punkt hinterher. Der ansonsten gute Mondeo verliert im Kostenkapitel. Alfa kann nur bei Design und Motor glänzen.